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"Viel Improvisation"
Von Karin Wollschläger
Zwei Jahre dauert die Pandemie schon. Das ist belastend für alle. Gerade auch Senioren in Altenpflegeheimen stehen dabei immer wieder vor besonderen Herausforderungen. Wie gehen sie damit um - ein Besuch in Zwickau.
Doch, die Hygienemaßnahmen, die Corona mit sich brachte, können manchmal auch lustig sein. So sorgte es im katholischen Altenpflegeheim Sankt Barbara in Zwickau für große Heiterkeit unter den Bewohnerinnen und Bewohnern, als eines Tages das Pflegepersonal die Müllbeutel von den Zimmern durchs Fenster hinaus warf. Hintergrund der ungewöhnlichen Aktion: Der individuelle Müll sollte nicht erst lang über die Gänge durchs ganze Haus transportiert werden, um das Übertragungsrisiko möglicher Corona-Viren zu minimieren.
Oft genug jedoch ist die Sorge vor dem unberechenbaren Virus mehr als belastend für alle. Denn gerade in einem Altenpflegeheim kommt ein Corona-Ausbruch geradezu einem Super-Gau gleich. Lange hatten sie Glück in Sankt Barbara. Erst im vergangenen Dezember gab es die ersten Corona-Fälle unter den 60 Bewohnerinnen und Bewohnern. Bei den Geimpften sei es recht mild verlaufen, berichtet Heimleiterin Karolin Pirwitz. "Aber den Ungeimpften ging es wirklich schlecht. Einige sind auch gestorben."
Für den Heimalltag bedeutete das damals über mehrere Wochen noch stärkere Beschränkungen zu bereits bestehenden wie dem Besuchsverbot. Die Bewohnerinnen und Bewohner durften ihre Zimmer weitgehend nicht verlassen. Die rund 30 Pflegekräfte trugen Vollschutz: Visier, Maske, Kittel, Handschuhe. "Das war wirklich sehr hart für alle hier. Ein Streicheln mit Gummi-Handschuhen, das geht nicht wirklich", sagt Pirwitz.
Das bestätigt auch Felicitas Böhm. Die 77-jährige Bewohnerin ist Vorsitzende im Heimbeirat, einem Bindeglied zwischen Bewohnern und Heimleitung. "Da gab es schon viele Tränen. Und vor allem die Dementen haben das ja überhaupt nicht verstanden, warum ihr Alltag plötzlich so ganz anders war", erzählt Böhm. "Es musste viel improvisiert werden. Aber es gab auch schöne Überraschungen!" So hätten etwa Kinder aus der Umgebung Geschenke für die Heimbewohner gebastelt und Briefe vorbeigebracht, organisiert von Pfarrei und Schule.
Ihr selbst habe es nicht so viel ausgemacht, sie wisse sich gut zu beschäftigen, habe zu Kindern und Enkeln via Tablet online Kontakt gehalten, sagt Böhm. Zudem hält sie die Erstellung der Heimzeitung, die einmal im Quartal erscheint, auf Trapp. Darin wird bildreich vom Heimalltag und besonderen Anlässen berichtet. Neben kleinen Knobeleien, "um den Kopp anzustrengen", wie Böhm sagt, spielen auch die christlichen Feste und Glaubensfragen eine zentrale Rolle. Böhm, die früher überzeugte Marxistin war, hat sich da engagiert eingelesen. Auf dem Tischchen in ihrem Zimmer stapeln sich "Christliche Hausbücher".
Böhm kümmert sich auch um Neuankömmlinge im Heim, nimmt sie in den ersten Tagen "ein bisschen an die Hand", wie sie sagt. "Bei manchen reicht ein Gespräch. Bei manchen schau ich in der ersten Zeit täglich vorbei. Manche sind anfänglich etwas verstört in der neuen Umgebung. Manchmal spreche ich dann auch mit den Angehörigen."
Eine von den "Neuen" ist die 90-jährige Rosina Koch. Erst vor einigen Wochen wechselte sie nach über 60 Jahren aus ihrer Doppelhaushälfte ins Heim. "Ich hab das ja nur meinem Sohn zuliebe gemacht", erzählt sie. Der ist 68, leidet an einer Wirbelsäulenkrankheit und bewohnt das Nachbarzimmer. Die alte Dame ist hin- und hergerissen: "Die sind alle so nett hier, und das ist alles so schön eingerichtet, das Essen schmeckt toll. Und wissen Sie: Es riecht hier auch gar nicht nach Heim!" Gleichwohl muss Koch schlucken und Tränen steigen ihr in die Augen, wenn sie an ihre alte Wohnung denkt. Nur wenig konnte sie mitnehmen. An der Wand hängt ein Kreuz, das Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern.
"Wenn das alles hochkommt und ich ein bisschen Ruhe brauche, schalte ich den Fernseher ein - den Kanal mit der Kirche von nebenan", sagt Koch und führt es direkt einmal vor. Das Fernsehbild zeigt nonstop im Livestream den Innenraum der Pfarrkirche, die nur wenige Meter neben dem Altenpflegeheim steht. Mehrmals pro Woche wird der Gottesdienst von dort auch mit Ton übertragen. Koch ist evangelisch, aber sie geht hier regelmäßig in den katholischen Gottesdienst. Wie viele Heimbewohner. Man kann es zweifelsohne als ein Highlight im wöchentlichen Heimalltag nennen.
Pfarrer Markus Böhme steht in engem Kontakt mit dem Altenpflegeheim. Als es in der Pandemie nicht möglich war, die Bewohnerinnen und Bewohner zu besuchen, kam er regelmäßig mit einer Gitarre oder einem Klavier vor die Fenster und spielte Lieder zum Mitsingen. Von ihren Balkonen aus stimmten alle mit ein. "Der spielt auch bei unseren Festen gern mal Klavier, auch mal was lustig Verrücktes - das gibt immer gute Stimmung", berichtet Felicitas Böhm schmunzelnd.
Der 94-jährige Helmut Rontschka sieht es ähnlich: "Das ist eine gute Gemeinschaft hier. Es ist im Grunde wie eine Familie." Er mag die gemeinschaftlichen Aktivitäten wie Ratespiele, Kegeln, Singen und miteinander Erzählen. "Wenn wir dann Wanderlieder zusammen singen, das ist immer so schön gesellig."
Die Pflegedienstleiterin Ute Hartung freut sich, wenn sie solche Rückmeldungen hört: "Unser Ziel ist ein gutes, wertschätzendes Miteinander. Wir sind ein Bestandteil im familiären Verbund unserer Bewohnerinnen und Bewohner. Deshalb gibt es auch eine enge Kooperation mit den Angehörigen." Pflege sei das eine, aber noch viel wichtiger sei es, das Alltagsleben gut zu gestalten. Dabei ergeben sich häufig kreative Verknüpfungen, wie beispielsweise wenn in der Ergotherapie Brot für die Agape-Feier des Heims an Gründonnerstag gebacken wird. Hartung bringt es auf den Punkt: "Alles ist so individuell wie die Bewohner es sind."
Dr. Karin Wollschläger
Redakteurin / Landesbüro
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